Michael Jäger in „der Freitag“

Originaltext

Ostermärsche  Krieg ist der Vater aller Grausamkeiten. Um ihn zu überwinden, gäbe es Wege. Aber dafür braucht es ein neues System.

  •  Michael Jäger

Es gibt wieder Ostermärsche für den Frieden. Corona hatte auch sie behindert, jetzt kommen sie zur rechten Zeit. Denn die Bilder von erschossenen Zivilisten in Butscha und anderswo in der Ukraine ha­ ben vielfach den Verstand lahmgelegt. Glauben wir ernsthaft, die russischen Men­schen seien grausam und führten deshalb einen grausamen Krieg? Es ist doch umge­kehrt: Der Krieg als Institution ist der Vater aller Grausamkeiten. Er formt die Generäle, Offiziere und einfachen Soldaten nach sei­nem Bilde. Seit dem 20. Jahrhundert ist der Krieg noch grausamer geworden. Alle letz­ten Kriege, egal von welcher Seite geführt, bezeugen es. Es liegt am Krieg, deshalb darf es keinen geben und muss der Krieg aufhö­ren, der gerade geführt wird.

.,Die Waffen nieder" ist nicht unter allen Umständen die richtige pazifistische Lösung. Gegen Hitler wäre sie es nicht gewe­sen. Wer will aber bestreiten, und mit wel­chem Argument, dass sie sich heute als Frage stellt, wie man den Ukraine-Krieg schnellstmöglich beendet? Die beiden Par­teien, die ihn unmittelbar führen,  erken­nen es ja an, indem sie eine Verhandlungs­lösung suchen. Wir wissen auch genau, worum da verhandelt wird. Der Haupt­punkt ist die militärische Neutralität der Ukraine. Woran man schon sieht, dass auch wir, der Westen, die NATO, bei diesem Krieg eine Rolle spielen.

Der Westen versucht aber gar nicht, den Krieg zu beenden. Er steigert ihn vielmehr. Dabei kann man die westlichen, auch deut­schen Waffenlieferungen an die Ukraine gar nicht grundsätzlich kritisieren, da die Ukrainer natürlich ein Recht haben, sich gegen die russische Aggression zu wehren. Als seinerzeit die spanische Republik von General Franeo angegriffen wurde, wäre es ja auch nicht .,links" gewesen, die Republi­kaner militärisch alleinzulassen. Von Russ­lands Präsident Wladimir Putin kann man aber wissen, dass er glaubt, sich eine Kriegsniederlage nicht leisten zu können­ eher noch würde er seine Nuklearmacht einsetzen. Das ist nicht mehr die Sowjet­union! Das ist ein kapitalistisches Land wie die USA, deren Militär im Vietnamkrieg kurz davor stand, die Atombombe zu wer­fen. Solchen Staaten ist alles zuzutrauen. Und es wird sogar behauptet, Putin sei wahnsinnig. Worauf also soll der Ukraine­ Krieg hinauslaufen?

Der Westen hat seine Sanktionen auf Ewigkeit angelegt

Noch bedenklicher als die Waffenlieferungen ist der totale Sanktions-Krieg, der darauf zielt, Russland politisch, ökonomisch und kulturell vollständig zu isolieren. So etwas hat  es noch  nie gegeben, nicht zum Beispiel, als die USA 2003 den Irak überfielen. Es gibt jetzt eine Unter­schriftenaktion mit Erstunterzeichnern aus dem grünen Zentrum Liberale Moder­ne, die suggeriert, ein sofortiges totales Embargo für russisches Erdgas könne spä­ter rückgängig gemacht werden. Aber das widerspricht den sichtbaren Tatsachen: Die Sanktionspolitik des Westens ist auf Ewigkeit angelegt. Wenn das ein Weg wäre, den dritten Weltkrieg vorzubereiten, hätte es Sinn - aber welchen, wenn nicht?

Wie kann der Ukraine-Krieg aufhören? Es reicht nicht zu sagen, er sei ein russisches Verbrechen. Das ist er, aber man muss mehr tun: seine Vorgeschichte analysieren, auch wenn noch so oft behauptet wird, wer analysiere, wolle Wladimir Putin helfen. Es ist richtig, dass Russland Großmachtinteressen durchsetzen will, die nicht mehr in unsere Zeit gehören. Außenministerin An­nalena Baerbock (Grüne) hatte recht, als sie kürzlich in Moldawien sagte, kein Land sei Russlands Hinterhof, Moldawien nicht und nicht die Ukraine. Da hat sie den richtigen Ansatz.

Zu ergänzen  bleibt  nur, dass auch die USA keinen Hinterhof haben, in Kuba etwa. Sie haben ihn aber beansprucht, oder etwa nicht? Ja, dieser Großmacht-Anspruch ist "19. Jahrhundert" - also weg damit! Aber das geht nur auf beiden Seiten oder gar nicht. Wir Friedensbewegten lehnen das ganze System ab, dieses modrige System, das immer wieder kapitalistische Kriege hervortreibt, und nicht nur russische. Zum Beispiel eben den im Irak 2003, den die USA mit nicht  vorhandenen irakischen Massenvernichtungswaffen herbeigelogen haben.

Im 19. Jahrhundert gab es Friedenskon­gresse. Bismarck hat 1878 einen ausgerich­tet. Die damaligen europäischen Mächte einigten sich in Berlin auf eine Friedens­ordnung für Südosteuropa und beendeten so die damalige Balkankrise. Heute kann es nicht darum gehen, Staaten wie Russland und die USA als Großmächte  mit Sonder­rechten anzuerkennen, sondern sie haben auf alles zu verzichten, worin sie von der UNO-Charta abweichen.

Das heißt konkret, weder Russland noch die NATO dürfen Kriege an der UNO-Charta vorbei führen, wozu sie sich heute berechtigt glauben und wohlgemerkt: wozu sie sich beide berechtigt glauben. Das ist ja der Grund, weshalb jede Seite die andere fürchtet. Dieser Furcht wegen ist die Ukraine an­gegriffen worden. Die Einheimischen müs­sen da einen Stellvertreterkrieg führen. Ein deutscher Bundeskanzler, der helfen woll­te, würde einen neuen Berliner Kongress ausrichten.

Stattdessen wird auf den russischen Re­vanchismus mit Restauration in den west­lichen Gesellschaften reagiert. Ewiggestri­ge möchten  uns vom "Unsinn" der letzten Jahrzehnte befreien: Kohle und Atomkraft sollen weiterlaufen! Vorbild der Konfliktlösung ist wieder der männliche Kriegshe­ros! Deshalb sind Ostermärsche so wichtig. Wir überlassen dem Krieg nicht das Feld.