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Vortrag und Diskussion mit Hans-Christof von Sponeck
VHS-Bonn · 13.06.2023 · 19.00 Uhr

Vortragsveranstaltung des FFB mit Hans-Christof von Sponeck zum Thema UN und Ukraine
VHS-Bonn, Mühlheimer Platz 1, Bonn

Hans-Christof Sponeck bei der VeranstaltungDer Krieg in der Ukraine führt einmal mehr vor, wie wichtig eine funktionierende UNO sein könnte. Ihre scheinbare Dysfunktionalität als friedenserhaltende Instanz heizt Debatten um ihre Reform an. Dabei divergieren die Vorstellungen, wie eine Reform aussehen könnte: in den westlichen Industrieländern wird hierzu an eine andere Reform gedacht, als in den Schwellenländern oder aber auch in den Entwicklungsländern im Süden.

Tanja am BüchertischVortragsraum, Blick von hinten Hans-Chritof von Sponeck am RednerpultDer Vortrag will nicht nur kritisch beleuchten, mit welchem Perpektive man jeweils auf die UNO als Akteur in Konflikten blickt, sondern will auch konkret fragen, welche Änderungen notwendig sind, um effektiv bewaffnete Konflikte zu verhindern. Der Krieg in der Ukraine dient als Ausgangspunkt unserer Debatte, es soll aber auch deutlich werden, dass die UN-Reform schon länger gefordert wird. Die Defizite der UNO sind nicht erst mit dem russischen Angriffskrieg aufgetreten.

Mit Hans-Christof von Sponeck haben wir einen Referenten gewinnen können, der selbst lange Jahre in der UNO gearbeitet hat und sich kritisch mit ihrem Wirken zuletzt vor allem im Bezug zum arabischen Raum auseinander gesetzt hat. Als Fachmann für Entwicklungspolitik setzt er sich seit Jahren auch mit der Frage auseinander, welche Voraussetzungen geschaffen werden müssen, damit multilateral geführte Friedensverhandlungen zustande kommen und erfolgreich geführt werden können. Als Ehrendoktor der Universität Marburg ist er eng mit der deutschen Friedens- und Konfliktforschung verbunden und Träger zahlreicher Friedensauszeichnungen.

Der Eintritt zur Veranstaltung ist frei – um Spenden wird gebeten
Die Veranstaltung des Friedensforums Bonn wird unterstützt von der DFG-VK Gruppe Bonn-Rhein-Sieg und dem Netzwerk Friedenskooperative.

Flyer zur Veranstaltung (klein)

Flyer zum Druck (auf DIN A4)

 

Die UNO: Eine Brücke zum Frieden in der Ukraine und Weltweit – Was Brauchts?

Eine wahre Sintflut von Medienberichten, Nachrichten und Artikeln überschüttert uns täglich mit Hinweisen auf die große geopolitische ‚Zeitwende‘, den Umbruch, die neuen Feinde Europas, die Notwendigkeit eigenständig und unabhängig zu werden. Stärke zeigen! Es geht für die einen um das Recht der Macht, für die anderen, um die Macht des Rechts. Es geht auch um Angst. Die Entfremdung zwischen Bürgern und denen, die sie im Bundestag vertreten, hat besorgniserregend zugenommen. Der kontrovers diskutierte „Aufstand für den Frieden“ – ist inzwischen von über 800.000 Bürgern unterschrieben worden, und zeigt die Kluft zwischen Politik und Bürger, aber auch den Zwiespalt innerhalb unserer Gesellschaft.

Für normale, wahrnehmende Menschen, die ein friedliches Leben leben wollen, ist es eine besorgniserregende und verwirrende Zeit, und auch eine gewaltige Herausforderung, sich mit Mut seines eigenen Verstandes zu bedienen, wie der große Immanuel Kant es vor zwei Jahrhunderten bereits gefordert hat.

Bei der Vermischung von Tatsachen, Meinungen, Einseitigkeit der Betrachtungsweise und bewusster Unwahrheit auf allen Seiten, an der auch unsere sog. Großen Medien unverantwortlich und maßgebend mit dabei sind, Beispiel Nordstream II, ist es kein leichtes, aber mögliches Unterfangen sich verlässlich zu informieren. Digitale Quellen, wie die ‚Nachdenkseiten‘ und ‚Telepolis‘, sind hierbei wertvoll und hilfreich.

Zu der Kunst ‚mental‘ zu überleben, gehört auch, immer wieder das Innehalten. Vor kurzem habe ich das getan, in dem ich über das ‚Lob der Torheit‘ von Erasmus von Rotterdam gelesen habe. Da schreibt er: ‚Wie kann man es bei einem Greis aushalten, der seine Klarheit verloren hat, dafür ihn aber seiner Blödheit enthebt, von jenen elenden Sorgen, denen der ‚weise Mann‘ (weise Frau) ausgeliefert ist?

Als greiser Mann möchte wiederholen: es ist nicht leicht für die Öffentlichkeit, sich eine realitätsnahe Meinung über die großen Themen unserer Zeit zu bilden. Was konkret dies heißt, bezüglich des mir aufgegebenen Themas, und welche Voraussetzungen existieren müssen, um   Brücken zum Frieden in der Ukraine und Weltweit bauen zu können - über diese ‚‘Voraussetzungen‘ möchte ich mit Ihnen sprechen.

Die 32 Jahre, in denen ich die Vereinten Nationen erlebt und gelebt habe, haben mir in drei   Bereichen gezeigt, dass erstens, allen Regierungen der heute 193 UNO-Mitgliedstaaten wohl bekannt ist, dass die multilateralen Grundlagen vorrangig im internationalen Recht verankert sind, und damit die Struktur der Brücke von Konflikten hin zu friedlichen Lösungen vorgegeben ist. 

Da ist zunächst die für alle verpflichtende UN-Charta mit ihrem Mandat für Lösungen von Konflikten und das Recht der Selbstverteidigung bei gleichzeitigem Verbot von Angriffskriegen. Das heißt, die Brückenpfeiler existieren! Es geht also um die Trasse, um die Substanz, die die Brückenpfeiler verbinden soll. Mehr darüber, später.

Zweitens, in den 78 Jahren ihrer Existenz, ist die Kluft in der UNO zwischen dem Erkannten und der tatsächlichen Durchführung nicht nur geblieben, sondern hat sich in den letzten Dekaden erheblich vertieft. Sowohl die UNO-Legislative (Sicherheitsrat und Generalversammlung), als auch die UNO-Exekutive (d.h., Generalsekretär und System der Sonderorganisationen, Fonds und Programmen) haben es bisher nicht geschafft diese Kluft zu schließen. An dramatischen Beispielen fehlt es nicht – die Brücken in Afghanistan, im Irak, in Syrien, Libyen und Jemen, sind nie gebaut worden.   Über die Ursachen, und was dies für den Brückenbau im russisch-ukrainischen Krieg bedeutet, muss natürlich gesprochen werden.

Drittens, wir dürfen nicht vergessen, dass es hier um multilaterale Brücken geht. D.h., für   dauerhafte Trassen werden Materialien gebraucht, die internationalen, nicht nationalen (!), Normen entsprechen.

Zunächst zu den Brückenpfeilern. Wie bereits gesagt, UNO Charta Recht gibt es, und ein Netz von wertvollem internationalem  Recht ist seit 1945 aufgebaut worden, aber es wird regelmäßig und folgenträchtig von ständigen Mitgliedern des UNO Sicherheitsrats gebrochen, von genau den Staaten, die von der Generalversammlung als  Hüter für Frieden, ernannt sind - siehe   Russland in der Ukraine, und USA/Großbritannien im Irak, NATO in Jugoslawien und Libyen, und das ähnliches geschehen kann in den  sich entwickelnden Krisenherden, dem Konflikt zwischen China und seinen Nachbarstaaten im Randmeer des pazifischen Ozeans und dem Konflikt zwischen Russland und anderen Anrainerstaaten in der Arctic. 

Eine Friedensbrücke für die Ukraine kann es nur dann geben, wenn das existierende internationale Recht   rechenschaftsverpflichtend, und für alle, gleichermaßen angewandt wird. Die UNO-Generalversammlung hat, mit deutlicher Sprache und dringlich, darauf hinzuweisen und den Schutz und die Einhaltung internationalen Rechts für Verhandlungen im ukrainisch-russischen Krieg und weltweit zu fordern. Dies ist bisher nicht geschehen.

Der Internationale Gerichtshof der UNO besitzt, seit seiner Gründung, nur Berater Funktionen und hat mit Aussagen, wie „Russland muss seinen Angriffskrieg sofort einstellen“ bisher wenig Hilfreiches beigetragen. Um effektiv zu sein, müsste dieser Gerichtshof mit juristischer Entscheidungs­autorität ausgestattet werden. Selektive und macht-politisch bedingte Anwendung internationalen Rechts, wie sie bis heute existiert, kann nicht länger toleriert werden für eine Staatenwelt, die eine Rechtswelt sein will. Mehr über diese Aussage in einem Moment.

Der Geist von Jalta, wo sich 1945 ein Kommunist und zwei Kapitalisten auf die entstehende UNO geeinigt hatten, mit dem Versprechen als Triumvirat gemeinsam die Weltordnung zu aufzubauen, ist schnell zu einem Ungeist verkümmert, der es dem Multilateralismus schwer macht sich zu behaupten.  Trotz Unterbrechungen, wie zum Beispiel 1990, dem Jahr, in dem Ost und West die Paris Charta für ein neues Europa unterschrieben und sich versprachen, eine Ära des Friedens und der Kooperation einzuführen, ist der kalte Krieg kälter geworden. Der UNO-Sicherheitsrat ist, nicht erst seit der russischen Aggression in der Ukraine, schon seit langem unfähig, seinen friedensfördernden Verpflichtungen gerecht zu werden. Überraschend ist dies nicht. Seit 1945 hat sich die Zusammensetzung der ständigen Mitglieder mit China, Frankreich, Großbritannien, Russland und den USA nicht geändert. Afrika mit 1.4 Milliarden Menschen und Lateinamerika mit 600 Millionen haben überhaupt keine permanenten Sitze, und Asien, mit 4.8 Milliarden (über 50% der Weltbevölkerung) hat mit China nur einen einzigen Sitz, während Europa und Nordamerika mit nur 14% der Weltbevölkerung, (1.1 Milliarden Menschen), drei der fünf ständigen Sitze im UNO-Sicherheitsrat einnehmen. Stimmen in der Generalversammlung werden lauter, die lange überfällige Anpassung an die heutige Weltlage vorzunehmen, und fordern den   Entzug der Führungsrolle der ständigen Mitglieder, sollte dies nicht geschehen.

In dieser dritten Dekade des 21. Jahrhundert wird eine sich verstärkende Konfrontation zwischen westlichen Demokratien und östlichen Autokratien immer deutlicher, und dies bei gleichzeitiger sichtbarer Entwestlichung der globalen Ordnung und wachsenden Führungsansprüchen aus dem asiatischen Osten. Wir leben in einer Zeit, in der mehr und mehr Länder, besonders des Südens, die westzentrische politische und wirtschaftliche Dominanz nicht länger hinnehmen und sich einsetzen, um Unipolarität durch Multipolarität zu ersetzen.  Dies zeigt sich schon seit langem in den Abstimmungsergebnissen der UNO-Generalversammlung, die außerhalb der UNO weitgehend unbekannt sind. Eine Untersuchung hat ergeben, dass  – so unglaublich dies erscheinen mag – in Bereichen, die  kritisch sind für das Zusammenleben auf unserem Planeten, wie  nukleare Abrüstung, reformierte Handelsbeziehungen, Beendigung von wirtschaftlichen Zwangsmaßnahmen, Entkolonialisierung, Frauen und Kinderrechte,   die USA, manchmal unterstützt von  EU Staaten, aber  oft im Alleingang oder nur mit kleinen Inselstaaten im  Pazifik, wie Palau, Mikronesien und die Marschallinseln, solche Mehrheitsentscheidungen Jahr für Jahr abgelehnt hat.

Es gehört zu den großen Enttäuschungen der internationalen Beziehungen, dass der US-Senat alle schüchternen Versuche der Präsidenten Obama und Biden, und vor ihnen Woodrow Wilson zu Beginn der UNO 1945, multilateral zu handeln, die amerikanische Außenpolitik bilateralisiert hat, wenn immer die Agenda der UNO nicht die der USA war, und ist.

‘A United Nations that seeks to impose its presumed authority on the American people without their consent, begs their confrontation. ‘ Diese Worte  von Jesse Helms, dem Vorsitzenden des amerikanischen Senats für Auswärtige Politik, die er 2002 bei einem Besuch im UNO-Sicherheitsrat gesprochen hat, werden im Gedächtnis der UNO bleiben. 

Was die Welt gestern hingenommen hat, dem wird heute aber entgegengetreten. Dem Machtkampf der mächtigen Staaten, der Jahr für Jahr dazu führt, dass Mehrheitsbeschlüsse der UNO-Generalversammlung von diesen Staaten als belanglos ignoriert werden, hat die ‚andere‘ Welt den Widerstand erklärt.

Während in diesem Frühjahr, 141 Staaten, d.h. 73% der Generalversammlung in New York, mit Recht den Ukraine Krieg Russlands verurteilt haben, forderten 33 Regierungen (70%) im Menschenrechtsrat in Genf ein ‚Ende der Sanktionspolitik westlicher Staaten‘ und eine ‚friedliche Beilegung des (Ukraine) Konflikts durch politischen Dialog, Verhandlungen, Vermittlung und anderen friedlichen Mitteln‘. Dem Sicherheitsrat ist es bisher nicht gelungen, diese wichtige Forderung aufzugreifen, um eine gemeinsame Vorgehensweise zu identifizieren. Dies überrascht nicht, denn zu groß ist gegenwärtig die Kluft für Dialog, Verhandlung und Kompromiss.

Voraussetzungen für den Beginn eines Brückenbaus, zum Frieden in der Ukraine und anderswo, wären, dass 

  1. die Protagonisten die Sicherheitsbedürfnisse des Gegners verstehen;
  2. eine grundsätzliche Bereitschaft aller besteht, Kompromisse einzugehen;
  • eine gemeinsame Akzeptanz, sowohl der Kriegsparteien als auch des UNO-Sicherheitsrats, existiert, den historischen Kontext des Konfliktes nicht zu ignorieren.

Für den Ukraine-Konflikt bedeutet dies, dass u.a., die NATO-Osterweiterung, der Maidan Putsch von 2014 und der Sturz des pro-russischen Präsidenten Viktor Janukowitsch, und die russische Vereinnahmung der Krim von 2014, in den Verhandlungen berücksichtigt werden müssen.

Solche Voraussetzungen sind zurzeit, was den Krieg in der Ukraine anbelangt, offensichtlich in keiner Weise gegeben.  Das darf aber nicht bedeuten, dass die politische UNO, einschließlich des Generalsekretärs, sich nicht mit allen Mitteln für eine friedliche Beilegung weiterhin einsetzt, und nicht erwartet, dass diese Pflicht, weder von der G7 noch der G20, wie Brasils Präsident Lula da Silva richtig betont, oder, noch unverantwortlicher, einer sogenannten ‚Allianz demokratischer Staaten‘ überlässt. 

Es mag ein Ausdruck eines Anti-Zeit-Geistes sein, hier anzufügen, dass ‚friedliche Beilegung‘ des Ukraine Kriegs weder mit mehr westlichen Waffen, Sanktionen und Abschottung noch mit erweiterter unmenschlicher Zerstörung ziviler Einrichtungen durch russische Angriffe, erreicht werden. Seit Schaffung der Vereinten Nationen, hat ein solches Vorgehen, sowohl bei inter- als auch, bei intra-nationalen Konflikten nicht ein einziges Mal zu einer Krisenbeendigung und zum Frieden geführt - siehe Irak, Syrien und Palästina im Mittleren Osten, in Südasien oder anderswo. Damit stellt sich die unbequeme Frage: Welche militärische Intervention hat je dem UNO Charta Recht entsprochen?

Die europäische Zivilgesellschaft allgemein, und wir, die Bürger in Deutschland, sollten in diesem Sinn unsere Sorge äußern, dass die EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen und Außenministerin Baerbock ihrem diplomatischen Auftrag als wichtige Mitglieder des multilateralen Brückenbauervorstands bisher in keiner Weise gerecht geworden sind. Beide Politikerinnen haben solch Aussagen, wie „Es muss sichergestellt werden, dass „Russland jahrelang nicht mehr auf die Beine kommt“ und „ein Waffenstillstand die Krise nur einfrieren würde“ immer wieder deutlich gemacht, dass beide Krisenabbau und Diplomatie nicht im Sinn haben, weder mit Russland noch mit China. Sie haben sich als Brückenbauer abgemeldet und damit dem deutschen Ansehen in der nicht-westlichen Welt erheblichen Schaden zugefügt. Trotz ihrer Hinweise des Gegenteils, haben beide UNO-Recht in die Ecke gestellt, oder härter formuliert, dazu beigetragen, dass UNO-Charta-Recht gebrochen wird! (Artikel 2/3&4 and 33/1) 

Deutschland ist trotzdem, in vieler Hinsicht, immer noch ein verlässlicher Partner der Vereinten Nationen. Mit 6.1% des jährlichen UNO-Budgets ist Deutschland nach den USA, Chinas und Japan der 4.grösste Beitragsgeber der 193 Mitgliedstaaten, und dazu noch ein relativ pünktlicher Zahler. Im Büro des Generalsekretärs hat Deutschland weiterhin einen guten Ruf. Dieser gute Ruf hat auch zu tun, mit der deutschen Unterstützung der multilateralen Klimawandel Programme und der 17 nachhaltigen Entwicklungsziele der UNO und der Friedensmissionen, an denen sie im Mittleren Osten und in Ostafrika teilnimmt.

Das Auswärtige Amt betont, dass es ein ‚Kernanliegen der Bundesregierung ist, dass der Sicherheitsrat an die geo-politische Realität des 21. Jahrhunderts angepasst wird und außerdem weist das Amt darauf hin, dass wesentliche Regionen im Sicherheitsrat nicht angemessen vertreten sind‘, und dass damit ‚der Sicherheitsrat an Legitimität und Autorität verliert‘. Dies sind wertvolle und zeitgemäße Hinweise des Auswärtigen Amts auf die Dringlichkeit einer Reform der Vereinten Nationen.  Umso unverständlicher ist es, dass Deutschland zurzeit nicht zu den aktiven Brückenbauern zählt.

Kopf schütteln darf jeder. Ich tue es hier, weil ich meine, dass die gegenwärtige deutsche Ukraine Politik, in keiner Weise ‚im Einklang mit den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen steht‘ (Charter Artikel 24/2). Ich finde es dümmlich, zu diskutieren, ob wir an dem ukrainisch-russischen Krieg teilnehmen oder nicht. Deutschland tut es! Diese Aussage werden manche nicht zustimmen und als verwerflich bezeichnen. Andere, z.B., deutsche Mitarbeiter in den Vereinten Nationen, auch hier in Bonn, werden dies eher anders sehen. Tatsache ist, wie SIPRI, das respektierte schwedische Friedensforschungsinstitut in Stockholm im Detail darstellt, dass deutsche Waffen in die Ukraine und in andere Krisengebiete, wie Saudi-Arabien, Jemen und Ägypten geliefert werden und dazu beitragen, dass Kriege nicht beendet, sondern verlängert werden.

Wer die globalen Krisenentwicklungen im 21. Jahrhundert verfolgt, muss erschüttert sein, über den Doppelstandard mit dem westlichen Politiker, ohne Scham, den russischen Krieg gegen die Ukraine einordnen. Der Hinweis, dass dieser Krieg einen völkerrechtswidrigen Aggressionskrieg darstellt, ist eine Binsenwahrheit, die diskussionsunwürdig ist. Dass die politische Führung in Moskau hierfür die volle Verantwortung trägt und dass Russland ein Fall für den Internationalen Strafgerichtshof darstellt, braucht ebenfalls nicht diskutiert zu werden.  Mehr als beunruhigend ist, dass der brutale Ukraine Krieg keinen Einzelfall darstellt, denken wir nur an Afghanistan, Libyen, Syrien, Vietnam, Laos, Kambodscha, Grenada, Chile +, wo es zu schwerstwiegenden westlich initiierten tiefsten Völkerrechtsbrüchen gekommen ist. Hinzu kommt der Irak, in dem ich die direkten Folgen eines ungeeinten Sicherheitsrats, angelsächsischer Machtpolitik und die Hilflosigkeit des Generalsekretärs, Tag für Tag erlebt habe. Humane Teilnahme an der menschlichen Katastrophe im Irak war nicht mehr als eine magere UNO-Randerscheinung. Eine ähnliche Aussage kann über die Beteiligung der Vereinten Nationen an dem Krieg in der Ukraine gemacht werden. Warum ist die amerikanische und britische Führung in den Tagen von George W. Bush und Tony Blair, für ihre fatale Irak Politik, bisher kein Fall für den Haager Gerichtshof geworden? Ist das nicht eine gerechtfertigte Frage?

Der Irak und die Ukraine erinnern an eine Aussage, die der Vertreter Mexikos 1945 bei der Gründung der UNO in San Franzisko, in die Zukunft schauend, gemacht hatte: „Wir haben eine Organisation geschaffen, in der wir die Mäuse kontrollieren, aber die Tiger werden weiterhin frei herumlaufen!“  Hier die guten westlichen und dort die bösen östlichen Tiger? Eine hämische Doppelmoral, die in den heutigen Zeiten des Umbruchs, und des sich anbahnenden globalen Machtwechsels, ernste Folgen haben wird.  EU-Kommissarin von der Leyen hatte vollkommen recht, als sie vor zwei Wochen meinte: „Der Krieg in der Ukraine „ist ein Konflikt zwischen Rechtsstaatlichkeit, der die Prinzipien der UNO-Charta aufrechterhält und dem Recht des Stärkeren und zwischen einer regelbasierenden Ordnung und einer Welt der blanken Aggression“.   Dies trifft in der Tat zu für die Ukraine, und hätte genauso auch für den Irak zutreffen müssen und damit viel Tod und Unrecht verhindert.

Ich habe lange nachgedacht, was ich zusammenfassend über die Vereinten Nationen als Brückenbauer, und   ein Ende der Feindseligkeiten in der Ukraine und den Frieden weltweit aussagen kann – ein schwieriges Unterfangen, wenn wir daran denken, dass wir es mit unvereinten Nationen zu tun haben. Ich sehe drei Ebenen, auf denen wir über das heute Machbare, und das Visionäre von morgen, nachdenken können: 

Ebene 1: Die nationale Regierungsebene:

Alle 193 UNO-Mitgliedsstaaten haben sich verpflichtet, UNO Charta Recht zu befolgen, d.h., multilaterales Recht (Artikel 103) hat Vorrang gegenüber anderen rechtlichen Verpflichtungen. Regierungen haben sich bisher schwergetan, oder wohl richtiger gesagt, geweigert, dies zu akzeptieren. Dekaden der Nichtbefolgung dürfen aber nicht länger ohne Konsequenzen bleiben, solange internationales Recht existiert. Die Generalversammlung sollte eine entsprechende Resolution verabschieden, die besonders der gegenwärtig akuten Ukraine Krise zu Gut kommen würde.

Ebene 2: Die Multilaterale Ebene:

  1. Der Sicherheitsrat, insbesondere die fünf gegenwärtigen permanenten Mitglieder (China, Großbritannien, Frankreich, Russland und die USA), haben die eherne Pflicht im Auftrag der Generalversammlung gemeinsam (!) Krisen und Kriege zu verhindern und Frieden wiederherzustellen. Dass es zurzeit hoffnungslos erscheint, die Protagonisten im russisch-ukrainischen Krieg an den Verhandlungs­tisch zu bringen, darf nicht bedeuten, dass diese Forderung nicht weiterverfolgt wird.

Zu den wichtigen multilateralen Schritten muss auch eine Bereitschaft gehören, einen sofortigen Waffenstillstand zu erreichen, und weitere Vorbereitungen für die Beilegung des Konflikts zu treffen, um eine Zusammenkunft der Konfliktparteien und ihrer Unterstützer zu ermöglichen, mit dem sofortigen Ziel der Beendigung des Konflikts und der langfristigen Aufgabe, eine neue Friedens- und Sicherheitsstruktur für Europa zu verhandeln.

Zeitlich begrenzte Waffenruhe und Aufbau von humanitären Korridoren für den Austausch von Gefangenen, Rückkehr aus russischem Gebiet von ukrainischen Kindern und der Export von Weizen, anderen landwirtschaftlichen Produkten und Düngemitteln, sowohl aus der Ukraine als auch aus Russland, existieren bereits. Dies sind kleine, aber wichtige Schritte, für eine De-eskalation und den Aufbau von Friedensgesprächen.

  1. Angebote von UNO-Mitgliedstaaten, wie Brasilien, China und der Türkei, als Mediatoren friedenswirkend mitzuhelfen, sollten von der Generalversammlung willkommen geheißen werden. Eine Zusammenarbeit der UNO mit der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE), eine der wenigen Einrichtungen in Europa, in denen Russland weiterhin vertreten ist, wäre wertvoll.
  • UNO-Generalsekretär Guterres, gemäß seinem Amt, hat auf der operationalen Ebene, eine äußerst wichtige Brückenbauerfunktion, die aber über humanitäre Bereiche hinaus gehen muss. Neben der Präsenz in der Ukraine von UNICEF, WHO, dem Welternährungs­programm, der Internationalen Atomenergie Behörde und anderen operationalen UNO-Behörden, sollte Guterres sowohl in Moskau als auch in Kiew zusätzlich zwei Büros einrichten, die vollzeitig mit politischen Deeskalationsaufgaben beauftragt sind. Solche Büros gibt es bereits in anderen Krisen gebieten, z.B., in Afghanistan und im Irak, wo humanitäre-, entwicklungs- und politische UN-Einrichtungen in allen Provinzen arbeiten und vor Ort integrierte Hilfe leisten. Über 200 ehemalige UNO-Mitarbeiter haben den Generalsekretär im letzten Jahr in einem Schreiben aufgefordert, mit ähnlichem Ansatz seine Kontakte mit den Kriegsparteien, und besonders auch mit China und EU-Staaten, erheblich zu erweitern. Dazu gehört die Vorlage von strategischen Überlegungen, die von ihm, als politisch unparteilichem Teilnehmer, erwartet werden und zu einer regelmäßige Pendeldiplomatie zwischen Moskau und Kiew und anderen Hauptstädten führen sollte. Dies ist bisher nicht geschehen.

Ebene 3: Die Zivilgesellschaft

Im Laufe der Jahre haben mehr und mehr Nichtregierungsorganisationen Abkommen mit dem Wirtschafts- und Sozialrat (ECOSOC) der UNO abgeschlossen – heute sind es weltweit etwa 6000, darunter auch viele deutsche NGOs. Solche, wie Arche Nova, Apotheker ohne Grenzen, Terra Tech, Brückenschlag, Straßenkinder, u.a., sind aktiv in der Ukraine tätig. Der dt. Botschafter bei der UNO in New York und der Generalsekretär sollten vereinbaren, dass unsere NGOs mit den in der Ukraine vertretenen UNO-Einrichtungen eng zusammenarbeiten. Der Generalsekretär hat die Aufgabe mit den Kriegsparteien zu vereinbaren, dass Menschen, die in den von Russland besetzten Gebieten der Ukraine leben, von der UNO und den NGOs humanitär ebenbürtig versorgt werden können.

…und noch ein letzter Gedanke: Auf allen drei Ebenen ist viel politischer Wille gefordert. Eine ‚Prise Ethik‘ wäre eine ermutigende Zugabe!

Hans von Sponeck (Bonn, 13.Juni 2023)

 

Hier der Text der Rede als PDF